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Tössbergheimat

Werden und vergehen am dägelsberg

Werden und vergehen am dägelsberg Werden und vergehen am dägelsberg Werden und vergehen am dägelsberg

  Der dägelsberg ist ein gebiergsstock im quellgebiet der töss, der sich rittlings auf der st. gallisch-zürcherischen grenze zur höhe von 1269 meter erhebt. An seinem zur st. gallischen gemeinde goldingen gehörigen ostabhang, in dessen nagelfluhgerüst hinein der als «Goldloch» bekannte, sagenumwobene stollen führt, entspringt die hintere töss. Was westlich der kantonsgrenze liegt, gehört zur zürcherischen gemeinde fischental. Der ganze dägeslberg - in seinem zürcherischen wie auch in seinem st. gallischen teil - bildet heute einen bestandteil der ausgedehnten zürcherischen staats-waldung wald - fischental.

  Die deutung des namens dägelsberg fällt nicht leicht. Aeltere namensformen sind tegelsberg (1479) und degisberg (1537); in den urkunden vom 16. bis zum ende des 18. jahrhunderts herrscht indessen die form tägelsberg oder tegersberg durch aus vor. Das hat natürlich nichts zu tun mit «des jägersberg», wie der um die geschichte seiner heimat getreulich bemühte geissenvater Heinrich Rüegg aus dem bauernboden (1853 - 1938) eimal gemeint hat. Ich selber glaubte eine zeitlang, tägersberg mit orts- und flurnnamen wie tegeracker, tegerfelden, tegermoos, tegersee in verbindung bringen zu können, in denen ein gotisches wort «diger», das gross oder dick bedeutet, stecken soll. Das ergäbe für tägersberg die bedeutung «grosser Berg», was, wie ich gleich zeigen werde, recht gut passen würde. Indessen haben zwei namenforscher, die ich um auskunft anging, diese ableitung übereinstimmend als unwahr gleich scheinlich erklärt. Und doch steckt vielleicht das «diger», wenn auch auf etwas andere weise, in unserem berg. Einer meiner gewährs-männer hat nämlich unter hinweis auf den mundartlichen namen von degersheim, das auf ein altes «tegerasca» zurückgehende «dä-gersche», unter allem verbehalt die vermutung ausgesprochen, der name tägesrberg könnte möglicherweise aus einer frühreren täger-schenberg, abekürzt tägerschberg, entstanden sein und somit einen berg mit einem grossen eschengehölz oder mit vielen eschen bezeichnen. Das ist eine sehr ansprechende deutung, denn in der tat sind die tieferen hänge des tägelsberges so dicht mit eschen bestanden, dass an schönen sommertagen ihr vom lufthauch bewegtes laubwerk einen silbrigen schirmmer über den berg ausgiesst.

  Auf der forstkarte der staatswaldung wald - fischental, beim forstpersonal und bei der einheimischen bevölkerung überhaupt wird heute nur noch der st. gallische abhang unseres berges dägelsberg genannt, so dass der berg als ganzes eigentlich keinen namen hat. So berichtet auch Rudolf Rüegg: «der heutige tägersberg umfasst 64 hektaren, gehört seit 1920 dem staat zürich, liegt aber ganz im kanton st. gallen». Wir haben da einen anscheinend merkwürdigen namensgeschichtlichen vorgang vor uns, nämlich die tatsache, dass sich der name, der ursprünglich dem berg als ganzes zukam, auf einen teil desselben zurückgezogen hat. Gerade in unserem falle sind aber die gründe dieser erscheinung leicht zu erkennen. Im 18. jahrhundert entstanden auf der zürcherischen seite des dägelsberges die siedlungen hübschegg und riederhausers, deren namen sich auf ihre umgebung übertrug. Der kamm des berges, früher «hoher Dägelsberg» genannt, hiess fortab «Riederhauserhöhe». Auf diese weise wurde der name dägelsberg auf den st. gallischen abhang zurückgedrängt.

  Die landkarten haben sich richtigerweise der verkleinerung des geltunggebietes des namens dägelsberg nicht in vollem umfang angepasst. Sie drucken den namen quer über den grenzgrat und geben damit zu erkennen, dass beide von ihm abfallenden abdachungen zusammen den dägelsberg ausmachen. In wirklichkeit ist aber auch dies noch nicht der ganze umfang des dägelsberges die alten grenzurkunden lassen nämlich die marche zwischen der herrschaft grüningen und der grafschaft uznach zwischen dem mittleren und hinteren dägelsberg verlaufen. Der hintere dägelsberg ist der st. gallische ostabhang, der mittlere der zürcherische westhang, an dem die siedlung riederhausen lag. Hinterer und mittlerer dägelsberg setzen aber auch einen vorderen dägelsberg voraus, und ein blick auf die karte zeigt, dass dies der vom tobelrüti- und schwemmibach begrenzte bergsporn ist, der heute in seinem höchsten teil auf der karte hübscheggbühl genannt wird. Im marchenbrief von 23. juli 1575, von dem noch ausführlich die rede sein wird, werden denn auch alle drei bestandteile des berges ausdrücklich genannt, nämlich «der vordere, der mittlere und der hintere Dägelsberg».

  Unter dem dägelsberg ist also der auf der karte plastisch hervortretende dreiteilige gebirgsstock zu verstehen, der im osten und süden von der hinteren töss, im westen vom schwemmibach begrenzt wird und im norden dreieckförmig gegen die schindelberghöhe ausläuft. Er ist also nicht nur ein «Eschenberg», sondern auch ein «grosser Berg», wennschon diese letzte deutung seines namens vor dem fprum der sprachwissenschaftler nicht standhält. Nachdem die siedlung hübschegg und riederhausers seit einem halben jahrhundert wieder verschwunden und ihre standorte von wald bedeckt sind. Ist es vielleicht nicht ausgeschlossen, dass der vom volksmund auf den st. gallischen abhang zurückgedrängten namen dägelsberg mit der zeit wieder sein ursprüngliches geltungsgebiet zurückerobert.

  Die eigentliche geschichte des dägelsberg, der schon 1479 als marche zwischen grüningen und uznach genannt wird, beginnt für uns erst mitte des 16. jahrhunderts. Am 4. herbstmonat 1550 nämlich verlieh der rat von zürich den dägelsberg den gemeinden fischenthal und wald gegen jährlichen zins zu erblehen und erlaubte ihnen, den wald zu roden, da frühere abdrücke nicht fehlerfrei sind, lasse ich die wichtige urkunde, deren original verloren zu sein scheinen, nach einer abschrift des staatsarchivs im wortlaut folgen:
«Wir Burgermeister und Raath der Statt Zürich thund kund menglichem mit diesem brief, als der Wald Tägersberg in unferm Ampt Grüningen ein rechter Fronwald und desshalb uns der Origkeit verfangen und zugehörig ist, doch uns von wegen der Ungelägne, Wüsti und Rüche nie kein Nutz ertragen hat, noch wir weder des Holzes alb des Bodens gefröuwt und besser werden mögen, so sind unsere leiben und getrüwen, die biderben Lüth der Gemeinden Fischenthal und Wald vor uns erschinen und uns in aller Underthenigkeit gar dienstlich und demütig gebetten, das wir inen söllichen Wald gnediglich vegonen und inen ein zimlich Zins daruf schlachen wölthin, so werind sy der Meinung und Hoffnung, ir ernstliche Arbeit daran zeleggen, das Holz uszehowen und am Boden etwas Nutzes und Geniessens zesuchen, damit sy als arne Lüth ir Wyb und Kind destbass usbringen und erneren möchtind. Und wann nun wir den Unsern zu irem Nutz und Frommen allweg wol geneigt sind, so haben wir ddieseire ernstliche Bitte gütlich angesechen und inen us Gnaden bewilliget und zugelassen, das sy söllichen Wald von einanderen in zwen Halbteil undergon und absünderen und jede Gemeind us irem Teil alles das nutzen und ziechen möge, das inen fürstendig und von Nöten ist, unsernt und sunst menglichs unverhindert, dann es vonallem Zechenden gefrygt und ir recht Erblechen jetz und hienach sin sol, allein mit dem Gedinge, das jede Gmeind gemeiner unser Statt jerlichs uf Sant Martins Tag fünf Pfund zu gewissem Zins dadannen richte und gebe und söllich Gelt unserm Vogt zu Grüningen in unserm Namen antwurte und zustelle, und fürnemlich ouch, dass die us dem Vischental schuldig sigint, denen von Wald mit iren Früchten über iren Teil Güter Stäg und Wäg zuogeben, inmässen sy sölliche Früchte nach Notturst kommenlich und füglich dadannen bringen mögind für alle Geverd, in Kraft dis Briefs, da wir jeder Gemeind zu merer Sicherheit under Statt Secret Insigel geben lassen Dornstag des vierdten Tag herpstmonats, als man zalt von Cristus Geburt fünfzechenhundert und fünfzig Jar».

  Der dägelsberg wird in unserer urkunde als «rechter Fronwald», d.h. Als der obrigkeit gehörender, als herrschaftlicher wald bezeichnet. Der berg war also bewaldet, und zwar wohl mehr oder weniger lückenlos, wie er es seit der vom kanton zürich vorgenommenen aufforstung heute wieder ist. Wer den berg kennt und sich die neueren weganlagen, namntlich die im zuge des alten goldingerfussweges in den 1949er jahren erstellte waldstrasse wegdenkt, kann sich gut vorstellen, dass der dägelsberg um 1550 ein vielfach schwer zugänglicher «urwald» war, und er begreift vollkommen die feststellung des rates, dass ihm dieser wald wegen seiner «ungelägne, Wüsti und Rüche» noch nie einen ertrag abgeworfen habe. Den gemeinden fischenthal und wald wurde also erlaubt, den wald zu roden und den boden auf andere weise zu nutzen. Der zins von zweimal fünf pfund, den sie dafür jahrlich zu entrichten hatten, erscheint fortab in den urbaren und rechnungen der landvogtei grüningen und zwar zusammen mit den aus der habsburgischen zeit herrührenden abgaben in der abteilung «Vogtrecht und Vogtsteuern». In urbaren von 1565, 1571 und 1601 erscheinen die «10 pfund vom Tägerspergzins» als gemeinsame schuld von wald und fischenthal, wie es der entstehungegeschichte dieser abgabe entspricht. Zwischen 1601 und 1649 muss dann aber eine änderung eingetretetn sein, denn nach den zinsbüchern des schlosses grüningen von 1649 und 1762 und des amtes rüti von 1811 wird der ganze dägelsbergzins von 10 pfund von fischenthal allein geschuldet. Wald hat also seine rechte am dägelsberg zugunsten von fischenthal aufgegeben, wohl deshalb, weil er ihm zu abgelegen und der zugang über die wolfsgrube und der vorderen und hinteren töss nach zu mühsam war.

  Von der gemeinde fischenthal wurde der dägelsbergzins auf diejenigen höfe verlegt, denen sie teile des berges abgetreten hatten. Das waren in erster linie die am dägelsberg selbst entstandenen heimwesen, aber auch einige andere höfe in der näheren umgebung des dägelsbergs. Nach der überlieferung umfasste dieses «Rauchsteuergebiet» die höfe hinterstrahlegg (sennhütte), schürli, neuschürli, hübschegg, riederhausen, riederhaustobel, neurüti, schnebelhorn, tierhag, und bauernboden.

  Der bezug des zinses geschah in der weise, dass der weibel von fischenthal die anteile der einzelnen pflichtigeneinzog und den gesamten zins namens der gemeinde an das schloss grüningen, später an das amt rüti ablieferte, wofür er ein trinkgeld von sechs schilingen erhielt. Nach einführung der frankenwährung im 19. jahrhundert betrug der zins fr. 11.67, das trinkgeld 35 rappen.

  In der höhe von fr. 11.67 wurde der dägelsbergerzins bis zu seiner ablösung in den jahren 1863 und 1864 weiter entrichtet. Bei einem zinsfuss von 4¼% entsprach dieser zins einem kapital von fr. 280.-, welches von den pflichtigen (oder von der gemeinde) am 25. april 1863 gekündigt und in zwei raten von je fr. 140.- am 9. september 1863 und am 14. november 1864 zurückbezahlt wurde.

  Damit war der dägelsbergzins endgültig erloschen. Ein merkwürdiges geschick aber fügte es, dass wenige jahrzehnte später auch alle heimwesen, aud denen er gelastet hatte, wieder verschwanden. Neurüti war nach nur kurzerm bestand schon vor 1821 durch ein brand zugrunde gegangen und wurde nicht wieder aufgebaut. Schnebelhorn, tierhag, baurenboden wurden bestandteile der grossen alpweide des landwirtschaftlichen vereins pfäffikon-hittnau-russikon; sshürli, neuschür, sennhütte und die eigentlichen dägelsbersiedlungen hübschegg, niederhausers und niederhaustobel wurden zwischen 1890 und 1900 vom kanton zürich erworben und aufgeforstet. Mit wenigen ausnahmen - sennhütte, tierhag und teilweise baurenboden - sind auch die gebäulichkeiten verschwunden.

  Ein vierteljahrhundert nach erteilung des dägelsbergbriefes verschafft uns ein am st. gallertag (16. oktober) 1574 abgefasster bericht de landvogt von grüningen an den rat von zürich einigen einblick in die rodungstätigkeit und ersten siedlungsversuch, die inzwischen am dägelsberg eingesetzt hatten. Von dem den gemeinden wald und fischenthal verliehenen wald, der auch hier wieder eine «grobe Wildi» genannt wird, waren zwei stücke an einen Hans Jos und einen Simon Kägi verkauft worden. Diese reuteten den wald «mit grosser und rucher Uebelzyt», und als sie damit «von Rüchi wegen» nicht mehr weiterkamen, verkauften sie den wald an Klaus Bischof, genannt senn, der als «starcki, ruchi und übelzytige Person und aus dem Appenzäller Land pürtig» geschildert wird. Der setzte die rodung mit solcher tatkraft fort, «dass er im und sinem Fölchli das Brot erbuwt». Dabei wohnte er «in einem Gädemli an einer Wildi und Unhaab, das menglichem alda zuosin unmüglich».

  Ausser diesm, von ihm käuflich erworbenen teil des dägelsberges rodete und nutzte Bischof aber noch ein anderes stück wald, das ihm von der benachbarten, in der grafschaft uznach gelegenen gemeinde goldingen gegen zins und die verpflichtung , von dem gereutetem walde, den zehnten an das spital st. anton in uznach zu entrichten, verleihen worden war. Diese verpflichtung wurde später von Bischof betsritten und nicht mehr erfüllt, da er sich auf den standpunkt stellte, aus dem ihm erst nachträglich bekannt gewordenen verlauf der grenze zwischen der grafschaft uznach und der herrschaft grüningen ergebe sich, dass der ihm von den goldingern verleihenen wald in wirklichkeit gar nicht zu uznach gehöre, sondern in zürich liege. Bischof hatte seinen standpunkt durch den landschreiber von grüningen den schirmorten uznach, schwyz und glarus, schriftlich auseinandersetzen lassen. Das hinderte die goldinger nicht, Bischof gewaltsam nach uznach zu führen, wo er vorübergehend gefangen gehalten wurde. Nun erhielt der landvogt von grüningen, junker Jörg Blarer, vom rat zu zürich den auftrag, sich der sache anzunehmen. Blarer nahm auf dem dägelsberg einen augenschein vor und verhörte bei dieser gelegenheit Bischof, dessen lehmann Felix Kleger (aus fischenthal) und andere leute aus dem amt grüningen, die in grösserer zahl «von wundersäbig wegen» zu der verhandlung in die wildi gekommen waren. Der untervogt der grafschaft uznach, Melchior Rüegg von wetzikon, und andere abgeordnete der gemeinde goldingen, welcher der termin auf dem dägelsberg ebenfalls angesagt worden war, verspäteten sich und trafen erst auf dem platz ein, als die zürcher schon wieder abgezogen waren. Sie gingen ihnen aber bis nach fischenthal nach, wo die besprechung zwischen landvogt blarer und untervogt Rüegg mit der verabredung endigte, den beiderseitigen obrigkeiten - zürich einerseits, schwy und glarus anderseits - einen tag zur gütlichen beilegung des streites vorzuschlagen. In der tat hing ja die streitige zehntenverpflichtung davon ab, ob der wald zu uznach oder ui grüningen gehörte. Wenn sich daher die obrigkeiten über den verlauf der landmarche einigten, so war damit auch der streit zwischen goldingen und Klaus Bischof entschieden.

  Eine stelle im bericht des lanvogtes Blarer ermöglichte uns, den von Bischof geordneten teil des dägelsberges wenigstens in groben umrissen zu erkennen. Der landvogt umschrieb den gegenstand des streites dahin, «das die Goldinger den mitlisten Tägesrperg uff Ewerm Aertrich, und die Unsern söllichen mitlisten Tägersperg hinder des Bischofen abgerütnen Wald uff der Höhen ansprächen». Bischofs «abgereuteter Wald» ist demnach das stück, dass er von Jos und Kägi erworben hatte; es lag am mittleren dägelsberg, also am zürcherischen oder westabhang. Das zwischen goldingen und Bischof streitige stück lag hinter seinem eigenen wald, ebenfals am mittleren dägelsberg, aber «uff der Höhen», also am obersten, «hohen Dägelsberg» genannt und an den grenzgrat stossenden teil des mittleren dägelsberg. Wo Bischof seine behausung aufgeschlagen hatte, in der er mit seinem völklein wohnte, ist nicht zu erkennen. Dagegen sagt uns der ausdruck «Gädemli», das es sich um eine höchst primitive und provisorische behausung, mehr hütte als haus handelt. Ueber umfang und beschaffenheit des zugehörigen landes enthält der bericht des landvogtes eine charakterische äuserung Bischofs. Schwyz und glarus hatten in einem schreiben an zürich dessen heimwesen am dägelsberg als «Hof» bezeichnet. Dazu bemerkte Bischof, was da als hof genannt wurde, sei «kum eins rechten Schaffärichs gross und nit ein bärender Boum daruf».

  Im folgenden jahre fand der «tägelsperg gespan» zwischen Bischof und der gemeinde goldingen seine erledigung durch ein abkommen zwischen zürich, schwyz und glarus. Der vom 23. juli 1575 datierte marchenbrief stellt einleitend fest, dass sich wegen des umstandes, dass es einen vorderen, mittleren und hinteren dägelsberg gebe, die alle «znechst an ein andern liggend», um die landmarche am dägelsberg und wegen «des Zehndens, der daselbs von etlichen Rütinen und ufbrochne Wieden gfalt», streit erhoben habe. Um ihn beizulegen, hätten sich zürich, schwyz und glarus über folgenden grenzverlauf geeinigt: von der wolfsgrube in die vordere töss an den tössstock, von derselben töss in die hintere töss, «und von der hinder Töss die Bachtallen zwüschent dem mittlisten und hindersten Tägelsperg uf unz an Weg, alba ein Marchstein gesetzt werden (soll), und dadannen aller Grede nach durch ufhin, bis da die Herschaft Grueningen und Grafschaft Toggenburg an ein andern stossend». Für die zehntenpflicht ergab sich aus dieser grenzziehung von selbst die regelung: «Und was enneth der Bachtallen gegen Goldingen ligt, das söll in die Grafschaft Uznach dienen und der Zehenden uf selbiger Gebiten von Rütinen alb Ufbrüchen dem Hus Sanct Anthoni zu Uznach verlangen; hiergegen, was disenthalb der obvermelten Bachtallen uf der Sydten Fischenthals gelegen, das alles und jedes sölle in die Herrschaft Grueningen gehören und dero zuostaan und das bemelt Hus S. Anthoni zuo Uznach dheinen Zehenden fordern alb haben».

  Wenn meine annahmem dass das zwischen Bischof und goldingen streitige waldgrundstück im oberen teil des mittleren dägelsberges lag, zutrifft, ist also Bischof als sieger aus dem streit hervorgegangen und hatte fortan an das spital st. anton keinen zehnten mehr zu entrichten.

  Der marchenbrief, den wir soeben in seinem hauptinhalt kennen gelernt haben, gibt zu einigen topographischen und historischen erläuterungen anlass.

  Wenn man von der tössscheide aus in dem nur noch dem wasser und dem strässchen raum lassenden tale aufwärts wandert, findet man nach einer viertelstunde leicht die stelle, wo die vom dägelsberg herunterkommende bachtolle in die hintere töss mündet. Auf dem steilen bord über dem flüsschen steht ein marchstein, der, obschon er im marchenbrief vom 23. juli 1575 nicht ausdrücklich vorgesehen ist, doch auf grund deselben gesetzt worden sein muss. In einer marchenbeschreibung, die landvogt johann felix grebel am 5. oktober 1758 dem zürcher rat einsandte, bemerkte er, der stein, «so ennet der hintern Töss stehet nebent einem wüsten Runs an dem Tägelsberg», trage die fast unkenntliche jahreszahl 1571, In einem eher als eine 7, so dass sich die jahreszahl 1577 ergäbe. Angesichts des zwei jahre vorher zustande gekommenen vertrages vom 23. juli 1575 ist ohne zweifel diese zweite lesung richtig. Eine notiz des grüninger marchenbüchleins von 1688, laut welcher auch der marchstein auf der wolfsgrube die jahreszahl 1577 trug, lässt darauf schliessen, dass überhaupt alle durch das abkommen von 1575 nötig gewordenen marchsteine im jahr 1577 gesetzt oder wenigstens angefertigt wurde. Die stelle des marchenbriefes: «untz an weg, alba ein marchstein gesetzt werden (soll)», wird in einem undatierten, aber nach dem 1. juni 1703 verfassten bericht der kanzlei grüningen über den schindelberger marchenstreit fälschlicherweise auf den marchstein auf dem hohen dägelsberg (bei punkt 1253) bezogen. In wirklichkeit ist der alte hübschegg- oder goldingerweg gemeint, der von der hübschegg aus um den ganzen dägelsberg herum gegen den hofschindelberg und weiterhin ins goldingertal führte und seit anfang der 1940 jahre aus forstwirtschaftlicher notwendigkeit, aber zum schaden des urwüchsigen landschaftsbildes, zu einer breiten waldstrasse ausgebaut wurde.

  An ihrem bergseitigen rande steht bei punkt 1118 der karte der 1575 beschlossene, 1903 zum letzten mal erneuerte marchstein, der die schilde von st. gallen und zürich aufweist und seit 1844 mit nr. 10 bezeichnet ist. Nur auf diesen marchstein passt die beschreibung des marchsteinvertrages von 1575, der zufolge die grenze «bis zum Weg» durch die bachtolle zwischen hinterem und mittlerem dägelsberg gebildet wird; denn nur unterhalb dieses weges besteht eine bachtolle, während oberhalb die grenze nicht mehr einem bachtobel folgt, sondern - wie der marchenbrief treffende sagt - «aller Grede nach durch ufhin» bis zum marchstein auf dem dägelsberg (bei punkt 1253) verläuft. Dieser sachverhalt wird auch bestätigt durch eine hand aus dem ende des 18, jahrhunderts, die in einer sammlung von aktenstücken der landvogtei grüningen folgenden eintrag hinterlassen hat: «Von der hintern töss geht die Marche der Bach Tollen nach, welche sich ein wenig links zwischen dem mittlern und hintern Tägelsberg hinaufzieht auf und auf bis auf den Hübscheggweg, welcher daselbst durch über die Golderner Allment in das Goldener Tal führt, allwo bei des Hübscheggers neuem Haus - das ist die später zu erwähnende Siedlung «Riederhausers» - eine Marche mit Nr. 25, beyden Schiltbuchstaben und Jahrzahl 1770 stehet, darbey der alte gestandene March mit beyden Schilten und der Jahrzahl 1596 auf der untern Seiten, und auf der obern ein anderes Stück von einem alten Marchen eingegraben liggt». Das marchenverzeichnis des landvogtes Grebel von 1758 liest bei denm ersten der beiden miteingegrabenen marchsteine statt 1596 die jahreszahl 1595. Der andere alte marchstein, der neben demjenigen von 1770 eingegraben war, war wohl der ursprüngliche, auf grund des marchenbriefes von 1577 gesetzt worden sein.

  Als endpunkt der streitig gewesenen herrschaft grüningen und die grafschaft toggenburg (und die herrschaft uznach) aneinander stossen. Das ist die schindelberghöhe (1237m), deren schöner, meterhoher und dreiseitiger marchstein neben den schilden von zürich und st. gallen die jahreszahl 1823 und die nummer 8 trägt. Von den nicht endenwollenden streitigkeiten um diesen grenzpunkt und seinem «Marchstein mit den dreyen Schilten» werden wir an anderer stelle näheres hören.

  Der marchstein auf dem hohen dägelsberg - er steht nicht auf dem höchsten punkt, sondern bei 1253m - ist im marchenbrief von 1575 nicht erwähnt. In der tat ist er erst im jahr 1599 errichtet worden. Seine geschichte ist eng verbunden mit der des dreiländersteins auf dem schindelberg und wird im zusammenhang mit dieser erzählt werden. Hier mag nur noch erwähnt werden, dass der stein auf dem dägelsberg nach beendigung des tössstockmarchenstreites im jahre 1771 erneuert wurde, er steht - stark verwittert - noch heute.

  Der marchenbrief vom 23. juli 1575 lässt erkennen, dass das dem dägelsbergwald abgerungene land als viehweide und - sicher aber nur in geringem masse - als ackerland benutz wurde. Dabei ist es dann hundert oder mehr jahre geblieben. Wenigstens erfahren wir während des ganzen 17. jahrhunderts nichts von ansiedlungen am dägelsberg, und es ist daher wohl möglich, dass der von Klaus Bischof, genannt Senn, unternommene vorstoss in die wildi nicht von dauer war. Was uns die wenigen urkunden des 17. jahrhunderts über den dägelsberg berichten, ist folgendes:
Am 16. april 1616 schlichtete ein aus neun angehörigen der herrschaft grüningen und der grafschaft uznach bestehendes schiedsgericht einen streit, der zwischen Hans Peter auf strahlegg und den kindern seines verstorbenen bruders Jagli einerseits und der gemeinde goldingen anderseits wegen der zäunung auf dem dägelsberg enstanden war. Bisher war es gemeinsame pflicht der parteien gewesen, «am Tägelsperg vor dem Vech zu zühnen und zu friden». Um streitigkeiten über die zaunpflicht für die zukunft vorzubeugen, wurde von den parteien angenommen: goldingen trat den Peter auf strahlegg ein stück seiner allmend zu eigentum ab, wogegen die Peter sich verpflichteten, den «Zuhn ob dem Gubel, grad der marche, volgendts da dannen über die Egg bis in den Wald hinein und durch den Wald bis auf den Schwindelberg» allein in stand zu halten. Das benötigte zaunholz durften die Peter nach belieben im wald der goldinger schlagen. Für den fall, dass die goldinger diesen wald einmal vollständig teuten sollten, wurden sie verpflichtet, die zaunpflicht neuerdings zur hälfte auf sich zu nehmen.

  Sieben jahre später erfuhr der strahlegger besitz jenseits des dägelsberges auf goldinger boden eine beträchtliche erweiterung. Laut kaufbrief vom 18. september 1623 nämlich verkauft die gemeinde goldingen vor ammann, untervogt und gericht der grafschaft uznach an die brüder und «Befreundten» Kleinjohannes, Jörg und Klaus Peter auf strahlegg einen wald, genannt der «Ussergrat», um 415 gulden guter zürcher münz und währung. Das kaufsgrundstück grenzte «erstlich an den Marchstein mit den dreyen Schilten, zum andern dem Gradt nach an Melchior Breitenmosers Brand, zum dritten aber dem Grat nach in die Ratt Than (Rottanne), zum vierten umb den Rott Thanne dem Gradt nach dahin in die Indümpfin, zum fünften den Indümpfin nach in den Thiergubel, zum sechsten dem Thiergubel nach in die Gross Runse, zum sibenden der Grossen Runse nach ushin in den Schindelberg Gubel, zum achten und letzten dem Zun nach ushin an den dägelsberg.

  Die lage der in der urkunde genannten punkte und flurnamen lässt sich leider nur noch zum kleineren teil feststellen. Sicher ist der ausgangspunkt: der marchstein mit der drei schilden ist der viel umstrittene, wenige jahre später von den toggenburgern ausgegrabene und dann während jahrzehnten verschollene dreiländerstein auf der schindelberghöhe (1237 m), wo die herrschaft grüningen mit den grafschaften uznach und toggenburg zusammenstiess. Melchior Breitenmosers brand muss der wald am nordostabhang des schindelbergs sein, wo die karte bei punkt 1113 noch heute den namen «Brand» verzeichnet. Wie mir im wirtshaus zum schindelberg mitgeteilt wurde, heisst der wald immer noch brandwald und steht heute noch im eigentum der familie Breitenmoser. Indümpfin, rottanne, tiergubel und schindelberggubel scheinen nicht mehr bekannt zu sein. Nur eine schwache erinnerung an den namen «Grosse Runs» konnte ich noch feststellen, aber niemand war imstande, mir ihre lage genauer anzugeben. Fest steht dann wieder der dägelsberg als letzter anstoss. Mit sicherheit kann also nur gesagt werden, dass der kauf die gegend östlich der linie dägelsberg - schindelberghöhe betraf; vermutlich umfasste er mindestens das land, welches heute eigentum des landwirtschaftlichen vereins pfäffikon-hittnau-russikon ist und zu dessen alp schnebelhorn gehört. Der kaufbrief bestimmte, dass die käufer, wenn sie den wald reuten sollten, den zehnten an das gotteshaus st. anton in uznach zu richten hätten. Ausserdem waren sie verpflichtet, «gedachten wald und weid» zu zäunen, wobei sie das dazu nötige holz im wald der goldinger hauen durften, solange dieser «nit auch usgerüt und gebutzen wirt».

Bärend=fruchttragend
übelzeit=beschwerde, mühsal

Quelle: Berge, wälder, grenzen und siedlungen im Zürcher Oberland
Author: von Dr. Arthur Bauhofer, oberrichter, Uster
Quellenbezug: Paul Kläui-Bibliothek Uster

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Letzte aktualisierung am Donnerstag, 12. Februar 2004